Selbstbestimmtes Leuth

Vortrag von Ludger Peters bei den Heimatfreunden Leuth am 06. März 2018

Im ach so penibel verwalteten Deutschland ging es nach dem Zweiten Weltkrieg drunter und drüber. Verständlich, wird man aus heutiger Sicht sagen, denn die Briten verordneten als Besatzungsmacht den Deutschen nach der autoritären nationalsozialistischen Phase die Demokratie. Dabei lösten sie auch das Amt Kaldenkirchen/Leuth auf und installierten in Leuth Franz Nelihsen als Bürgermeister und Peter Klinkertz als Verwaltungschef. Was de facto Bestand hatte, hing juristisch noch in der Luft. Denn erst 1962 wurde das Amt Kaldenkirchen auch nach den Buchstaben des Gesetzes aufgelöst.

Dass da etwas nicht stimmte, hatte der seit 1960 amtierende Gemeindedirektor Erich Tenelsen entdeckt, wie er im Jahre 2003 dem Journalisten Ludger Peters auf Anfrage mitteilte. Inzwischen im Ruhestand und nach weiteren Nachforschungen berichtete er beim Verein der Heimatfreunde darlegte über die letzten Jahrzehnte Leuther Teilselbständigkeit. Die absolute Selbstständigkeit dauerte aber nur acht Jahre, dann ging Leuth 1970 in Nettetal auf. „In den Jahrhunderten zuvor war Leuth immer Teil von anderen“, war sein Fazit.

Hatte der Kaldenkirchener Historiker Leo Peters in seiner Stadtgeschichte das Tauziehen um Leuth in den Jahren 1927/28 nur eher beiläufig mit einem Satz erwähnt, so stellte sein aus Leuth stammender Namensvetter Ludger Peters, ebenfalls mit historischem Studium, sehr ausführlich dar, wie Kaldenkirchen sich Leuth „einzuverleiben“ suchte. Denn es stand eine Kreisneuordnung an, und Leuth und Hinsbeck gehörten damals noch zum Kreis Geldern. Beide Orte hatten seit 1822 einen gemeinsamen Bürgermeister und eine gemeinsame Verwaltung. „Wenn Leuth nicht im Rückstand bleiben will, ist der Anschluss wichtig“, schrieb der damalige Kaldenkirchener Bürgermeister Bernhard Pauw. Doch es kam anders: Bei der Neuordnung zum 1. August 1929 kamen Leuth und Hinsbeck zwar in den Kreis Kempen-Krefeld, blieben aber weiter in einem Amt verbunden.

Wurden Umgliederung und eventueller Zusammenschluss mit Kaldenkirchen Ende der 1920er Jahre in Bürgerversammlungen heiß diskutiert und nur knapp für den Kreis Kempen entschieden, ging sieben Jahre später unter den Nationalsozialisten alles ziemlich geräuschlos. Weil Hinsbeck/Leuth einen neuen Bürgermeister brauchte, wurde die Verwaltungsgemeinschaft aufgelöst: Leuth kam am 1. April 1936 zum neuen Amt Kaldenkirchen, Hinsbeck zum ebenfalls neu geschaffenen Amt Lobberich.

Im Vorfeld hatte der Kaldenkirchener Bürgermeister Pauw wieder eine ausführliche Stellungnahme abgegeben, dabei so ähnlich argumentiert wie 1927 und eine Eingemeindung angestrebt: Denn nichts gehe für die Leuther ohne Kaldenkirchen, weil hier Arbeitsplätze (Industrie, Zoll, Eisenbahn) vorhanden sei, die Landwirte der Bezugs- und Absatzgenossenschaft angeschlossen seien, die Bürger hier einkauften. Über Strom und Gas, Straßenbau, Fernsprechamt, ärztliche Versorgung und Krankenhaus hinaus gebe es „weitere innige Beziehungen“, die es nach Ansicht von Pauw zwingend erscheinen ließen, „die beiden Gemeinden zu einer finanziell stärkeren und dazu leistungsfähigeren Gemeindeeinheit zu verschmelzen“. Dazu kam es dann aber nicht, Kaldenkirchen durfte Leuth nur mitverwalten. Die Gemeinde behielt einen eigenen Haushalt und einen Ehrenbürgermeister.

Breyeller Bemühungen, den Leuther Ortsteil Leutherheide (350 Einwohner) einzugliedern, hatten zu diesem Zeitpunkt nicht geklappt; sie wurden aber mit geheimen Versammlungen in Leutherheide fortgesetzt. Nach Peters‘ Meinung hatte ein Großteil der Leuther nichts gegen die Abspaltung der rund 360 Einwohner zählenden Ortschaft, sie regten sich nur über die Geheimniskrämerei der Breyeller auf, die nach außen hin so taten, als gehe sie die ganze Sache nichts an, die insgeheim aber kräftig für die Umgliederung arbeiteten. Doch kam am Tag vor Kriegsbeginn ein Stopp aus dem Innenministerium in Berlin, das jede Verhandlung über Gebietsänderungen untersagte.

Allerdings kam es aus „kriegswichtigen Gründen“ dann doch zum 1. April 1944 zur Umgliederung, weil „in Zeiten des totalen Kriegseinsatzes“ weite Wege für die Feuerwehr von Kaldenkirchen aus nicht zumutbar seien. Noch im September/Oktober 1944, als die alliierten Truppen vor Aachen und nicht weit von Venlo standen, wurden Notarverträge über Grundstückstausche unterzeichnet. „Die hatten Sorgen“, merkte Peters an. Leuth hat in den 1960er Jahren noch einmal versucht, die Nichtigkeit der Umgliederung gerichtlich feststellen zu lassen, doch ist die Sache im Sande verlaufen, als Nettetal allmählich Konturen annahm.

Bei seiner Suche in den Archiven war Peters auch auf zahlreiche Dokumente gestoßen, die über die soziale Situation Auskunft gaben. „Mitte der 1920er Jahre war Leuth ein armes Dorf“, stellte er fest. Die Gemeinde war froh, dass Lohnsteuer aus Kaldenkirchen von dort arbeitenden Leuthern kam. Der Haushalt 1927 hatte ein Defizit von 15.000 Reichsmark. Damals gab es auch verhärtete Fronten zwischen dem sozial eingestellten Pfarrer Johannes Schlütter und der Bauernschaft sowie dem Schulleiter Heinrich Orth. Der Pfarrer forderte unverblümt von der Kanzel mehr Geld von den wohlhabenderen Bauern.

Peters hatte auch noch einige ältere Bilder ausgegraben, die einen hohen Wiedererkennungswert hatten: So viel hat sich im Ortskern eigentlich nicht geändert – bis auf die Fassadenkosmetik hier und da.

Vielen Dank an Manfred Meis für den Bericht!